GR: Naturverträgliche Energiewende – auch in Graubünden

28. September 2023

Der Ausbau der erneuerbaren Energien scheint nach jahrzehntelanger Blockade endlich voranzugehen. Leider und unnötigerweise wird aktuell der Ausbau in Graubünden auf Kosten der Natur geplant. Die Umweltverbände fordern, dass der Kanton endlich grosszügige Flächen für intakte Landschaften und unberührte Natur als Kapital für die Einheimischen, Tourismus und die Natur vorsehen soll. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll stärker Rücksicht auf Biodiversität und Landschaft nehmen. Dies fordern die Umweltverbände im Rahmen ihrer Stellungnahmen zum Kantonalen Richtplan Energie.

Biodiversität

Wir haben zwei grosse Krisen, welche gemeinsam gelöst werden müssen – den Biodiversitätsverlust und den Klimawandel. «Zur Bewältigung von beiden Krisen benötigen wir Fläche, mindestens 1/3 der Landesfläche für die Biodiversität und Orte, an welchen wir erneuerbare Energien wie Wasserkraft, Wind- oder Solarenergie produzieren können.» sagt Armando Lenz, Geschäftsführer von Pro Natura Graubünden. Die grossräumige Abstimmung der Flächen wäre eine der Kernaufgaben eines Richtplans, v.a. wenn die Energiewende Natur- und Landschaftsverträglich geschehen soll, wie die Umweltallianz ja bereits seit Jahren fordert und aufzeigt. Genau da ist aber das Problem. Der Ausbau der erneuerbaren Energien scheint nach jahrzehntelanger Blockade endlich voranzugehen. Leider und unnötigerweise wird aktuell der Ausbau in Graubünden auf Kosten der Natur geplant

 

Landschaft

Mit der Richtplananpassung im Bereich Energie hat der Kanton Graubünden seine Aufgabe nun in Bezug auf die Energieproduktion gemacht. Der Landschaftsschutz ging aber vergessen. Aufgrund der Strommangellage und des jahrelang verschlafenen Ausbaus der erneuerbaren Energien setzt der Kanton Graubünden nun die Landschaft unter Druck und sichert sich flächig die Gebiete zur Energieproduktion. Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz kritisiert diese einseitige Optik des Nutzens: «Die SL fordert eine rasche Aktualisierung des Richtplaninhalts Landschaft. Der Kanton Graubünden soll Landschaftskammern definieren, welche langfristig frei von grossen, technischen Infrastrukturen bleiben. Diese Gebiete sind als «Vorranggebiete Landschaft» im Richtplan auszuscheiden.»

 

Wasserkraft

Die Zitrone Wasserkraft ist ausgepresst. Viele Gewässer mit ihren Arten und Lebensräumen sind durch die Wasserkraft stark übernutzt und deswegen in einem schlechten Zustand. Das zeigt der aktuelle Biodiversitätsbericht des Kantons Graubünden eindrücklich. Unzählige Studien zeigen, dass eine sichere, umweltverträgliche Stromversorgung auch mit Rücksicht auf die Natur möglich ist, ohne dass noch die letzten Gewässer planlos verstromt werden müssen.    

Der Richtplan Wasserkraft muss dies berücksichtigen. Die Ausbauziele für die Wasserkraft sind viel zu hoch und müssen auf ein umweltverträgliches Potential reduziert werden. Der Fokus muss auf Vorhaben in vorbelasteten Gebieten liegen, wie der Höherstau bestehender Anlagen in Marmorera und Curnera/Nalps, Projekte vom nationalen Runden Tisch, oder die Schwallausleitkraftwerke, die gleichzeitig den Schwall sanieren. Ersteingriffe in Naturlandschaften, wie im Val Curciusa, am Glenner, in der Val Bercla und Val Chamuera sind zu streichen. Die Empfehlungen zum Schutz von Natur und Landschaft des nationalen Runden Tischs sind im Richtplan zu verankern, z.B. dass der Schutz der Biotope gesichert wird. Bündner Gewässer und Flüsse, die für den Erhalt der Biodiversität wichtig sind, müssen zudem planerisch geschützt werden (z.B. als Bijous). “Dies würde Planungssicherheit für Investitionen schaffen und den Ausbau der Wasserkraft könnte effizient geplant, bewilligt und realisiert werden. Diese Chance hat der Kanton mit dem Richtplan Wasserkraft verpasst”, sagt Anita Mazzetta, Geschäftsleiterin WWF Graubünden.

 

Solarenergie

Die Solarenergie kann auf bestehender Infrastruktur biodiversitätsfreundlich ausgebaut werden. Das Potenzial auf Bündner Dächern ist riesig, nämlich mindestens 2.8 TWh / Jahr. Das ist bedeutend mehr als was wir zur Zeit jährlich brauchen und was der Solarexpress in der ganzen Schweiz vorsieht, ohne Landschaften und Biodiversität zu verschandeln. Dazu kommen noch Flächen über Parkplätzen, Autobahnen oder Zugstrecken. Der Richtplan sieht auch vor, dass Solarstrom prioritär auf bestehender Infrastruktur und nur in Ausnahmefällen in stark vorbelasteten Gebieten auf Freiflächen produziert werden soll. Grosse Freiflächenanlagen sind nicht nötig und können der Landschaft und Biodiversität schaden.

 

Windenergie

Auch die Windenergie schneidet bei der Biodiversitätsbeurteilung eher mittelmässig ab. Windturbinen haben, je nach Standort, ein grosses Schadenspotenzial für Vögel und Fledermäuse. “Bei der Ausscheidung der Gebiete wurde der Vogelzug überhaupt nicht berücksichtigt. Sensible Arten wie Bartgeier, Auerhuhn und Uhu brauchen zudem grössere Abstände zu ihren Horsten und Kernlebensräumen, als ihnen im Richtplan zugestanden werden.” sagt Tom Bischof, Geschäftsleiter BirdLife Graubünden. Weitere prioritäre Vogelarten wurden ebenfalls nicht berücksichtigt. Es wurde also keine vollständige Interessenabwägung gemacht, so dass ein Ausbau, wie ihn der Richtplan vorsieht auf Kosten der Biodiversität geschieht. Im Richtplan sind für die Windenergie 25 Gebiete mit einer Fläche von rund 185 km2 reserviert. Dies übersteigt den nötigen Ausbau um ein Vielfaches und steht in keinem Verhältnis zum geringen Windpotenzial in Graubünden im Vergleich zu anderen Kantonen Wir fordern deshalb, dass der grösste Teil der Gebiete gestrichen wird. Mit der Realisierung von Windkraftanlagen auf den verbleibenden naturverträglichen Gebieten kann mit rund 240 GWh pro Jahr das Minimum der Ausbauziele aber bereits im Zeithorizont des Richtplans erreicht werden.

 

Naturverträgliche Energiewende

Für den CO2-Ausstieg brauchen wir die Energiewende und dazu gehört auch der Ausbau der erneuerbaren Energien. Dieser Ausbau muss jedoch Hand in Hand mit Natur und Landschaft gehen. Die Umweltallianz zeigt auf, wie eine umweltverträgliche Energiewende möglich ist. Das grosse Effizienzpotential und die Solarenergie sind die zentralen Pfeiler der Energiewende. PV-Anlagen auf Dächer, Fassaden und Infrastrukturen sind die optimale Ergänzung zur bestehenden und ökologisch optimierten Wasserkraft. In der Solarenergie ist aktuell sehr viel Schub. Allein im 2022 wurde 1 TWh/a Solarstrom auf Dächern dazugebaut. Und es geht so weiter. Bis Ende 2023 werden über 8% des Strombedarfs mit PV-Anlagen gedeckt. Windkraft und Biomasse ergänzen den erneuerbaren Strommix.

Diesen Weg gilt es zu gehen. Dafür bieten die Umweltorganisationen Hand.


Box

Der Richtplan zum Kapitel Energie des Kantons liegt noch bis Ende September zur Vernehmlassung öffentlich auf – jeder kann sich dazu äussern. Doch was ist der Richtplan überhaupt und wieso ist dieser wichtig? Im Richtplan wird festgelegt, welche Flächen des Kantons wie genutzt werden sollen, mit dem Ziel, diese Nutzungen aufeinander abzustimmen und Konflikte mit dem Schutz zu lösen. Er ist verbindlich für die Behörden und wird in der Regel alle 10 Jahre überarbeitet. Im Richtplan Energie wird also festgelegt, wie der Kanton Graubünden die erneuerbaren Energien ausbauen möchte, und welche Flächen er dafür in Anspruch nehmen möchte.

Graubünden produziert aktuell pro Jahr ca. 8.5 Terawattstunden (TWh) an elektrischer Energie. Eine TWh deckt den jährlichen Stromverbrauch von ca. 200'000 bis 550'000 typischen Haushalten in der Schweiz. Der Grossteil des Stroms wird aus Wasserkraft gewonnen, während Solar- und Windenergie vernachlässigbar sind.


Gesamte Medienmappe

 

Auskunft

081 511 64 11, Pro Natura Graubünden, Armando Lenz

076 500 48 18, WWF Graubünden, Anita Mazzetta

081 525 45 54, BirdLife Graubünden, Tom Bischof

079 133 16 39, Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, Raimund Rodewald

 

Zum Weiterlesen:

Umweltallianz: so geht die Energiewende

Boulouchos K, Neu U et al. (2022) Schweizer Energiesystem 2050: Wege zu netto null CO2 und Versorgungssicherheit. Grundlagenbericht. Swiss Academies Reports 17 (3)

 

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